Der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V. hat es sich zum Ziel gesetzt, Beteiligungserfahrungen von Jugendlichen, die in Heimen und Wohngruppen leben, zum Thema zu machen. Wir wissen aus sozialwissenschaftlichen Studien, welche Bedeutung für die Wirkung von Erziehungshilfen es hat, dass Jugendlichen beteiligt werden. Wir wissen weiterhin, dass es (1.) Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten braucht, dass es (2.) eine Beteiligungskultur in den konkreten Einrichtungen braucht und es (3.) Erfahrungen mit Beteiligung braucht, damit Beteiligung wirksam umgesetzt werden kann.
Vor diesem Hintergrund wollen wir gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen an ihren Beteiligungserfahrungen ansetzen, diese zum Thema machen und uns mit ihnen von dort aus auf den Weg machen, eine Broschüre zu entwickeln, die für Jugendlichen Aussagen trifft zur Orten der Beteiligung, Wegen dorthin und Rechten von jungen Menschen. Außerdem wollen wir Jugendliche als „peer-Berater_innen“ ausbilden, damit diese zu „Kinderrechten in der Jugendhilfe“ vor anderen Jugendlichen einen kleinen Vortrag halten können.
Zu diesem Zweck haben wir uns in Sachsen mit 13 Jugendlichen verabredet, in Form von fünf Seminaren über mehrere Monate hinweg an dieser Broschüre und der „peer-Beratung“ zu arbeiten. Das erste Wochenende vom 14.-16. November 2014 verbrachten 13 Jugendliche und vier Sozialarbeiter_innen in einem Selbstversorgerhaus in Dresden. Die Jugendlichen kamen aus Meißen, Leipzig, Dresden, Zwickau, Pirna und Kirchberg, also aus ganz Sachsen.
Im Vordergrund des ersten Seminars standen Kennenlernen und Vertrauen fassen in die Gruppe. Die Jugendlichen sind zwischen 14 und 18 Jahren alt, sechs Mädchen und sieben Jungen waren angereist.
Neben vielen Kennenlern-Methoden gab es auch erste Annäherungen an die Themen Beteiligung und Kinderrechte. So haben alle Jugendlichen ihre Wohngruppen vorgestellt und erklärt, wo sie sich dort wie genau beteiligen können. Schon hier wird die Bandbreite der Beteiligungserfahrungen deutlich: In einigen Wohngruppen kann das eigene Zimmer frei gestaltet werden, in anderen Wohngruppen beschränkt sich die Gestaltung auf eine Wandfläche. In einigen Wohngruppen können Jugendliche über die Verwaltung der Gruppengelder frei entscheiden, in anderen Wohngruppen ist das den Fachkräften vorbehalten. Einmal dürfen sie bei der Aufstellung der Regeln mitwirken, an anderen Orten wieder geht das gar nicht. In einigen Wohngruppen gibt es Gruppensprecher_innen, in anderen Wohngruppen gibt es keine Jugend-Vertretung. In den Gesprächen der Jugendlichen wird das Interesse deutlich, von anderen Jugendlichen zu lernen: Wie geht das bei Euch, wie weit dürft ihr mitentscheiden? Die Vorstellung der eigenen Person und der Wohngruppe wurde in Kleingruppen vorbereitet und geübt, schließlich geht es auch darum, vor einer Gruppe konzentriert aussagefähig zu sein.
Bei der Aktion „Ein Schritt nach vorn“ sollten sich die Jugendlichen in bestimmte Rollen hineindenken und Fragen beantworten, indem sie bei Zustimmung „Einen Schritt nach vorn“ machen: Kann ein obdachloser Jugendlicher über die Wahl seiner Kleidung frei entscheiden? Kann eine Jugendliche in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung wohl bei den Gruppenregeln mitentscheiden? Darf die Tochter einer allein erziehenden arbeitslosen Mutter über die Verwendung des Haushaltsgeldes mitentscheiden? Anhand solcher Fragen wurde deutlich, wovon es abhängen kann, ob Kinderrechte verwirklicht werden. Die Jugendlichen selbst haben diese Antworten auch auf ihre eigene Lebenssituation in einer Wohngruppe bezogen, ohne dass das schon am Beginn zum diskutierten Thema wird: Um über die eigene Situation in einer Gruppe zu sprechen, braucht es Vertrauen. Daher haben wir am ersten Wochenende vorerst abstrakt und beispielhaft über Kinderrechte und Beteiligungsrechte gesprochen.
In einem Kinderrechte-Quiz („Ein, Zwei oder drei – letzte Chance vorbei“) haben sich die Jugendlichen spielerisch mit den Kinderrechten beschäftigt: Darf ein Kind alles sagen, oder nur das, was seine Eltern erlauben? Haben Kinder ein Recht auf Bildung? Bei welchen Entscheidungen dürfen Kinder mitreden? Wer darf meine Post lesen? Dieses Quiz war Anlass, über die eigenen Rechte als Jugendliche_r nachzudenken und mit anderen darüber zu sprechen.
Im ersten Seminar der Reihe „Muskepeer“ haben sich die Jugendlichen kennengelernt und sicher auch Vertrauen in die Gruppe gefasst. Die Rückmeldungen waren sehr positiv, alle haben Lust weiterzumachen. Bei den Wünschen für das nächste Mal wurde deutlich, dass etwas mehr Freizeit gewünscht wird und mehr Einblick in die Praxis anderer Wohngruppen gewährt werden soll. Darum werden wir uns kümmern. In drei Wochen wird das nächste Seminar stattfinden, in dem es dann stärker um die Verwirklichung der Kinderrechte in der Jugendhilfe gehen wird. Wir setzen darauf, dass dieses erste Seminar eine gute Grundlage war.
21.11.2014
Björn Redmann