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Weit verbreiterte Irrtümer in der Jugendhilfe

Wie in vielen Bereichen des Lebens gibt es auch in der Kinder- und Jugendhilfe Dinge, von denen wir meinen, sie seien eben so. Weil das schon immer so war. Häufig stimmen diese Annahmen nicht und werden trotzdem so weitergegeben. Häufig lohnt ein Blick ins Gesetz. Wir haben hier einige Dinge zusammengetragen, die so nicht stimmen.

Manchmal sagen Mitarbeiter*innen aus den Jugendämtern:

„Fehlende Mitwirkung führt zum Ende der Hilfe“. Gemeint ist damit, dass eine Hilfe beendet wird, wenn z.B. der junge Mensch selbst nicht mitarbeitet, die Ziele nicht umsetzt oder sich nicht an Regeln hält. Das aber ist falsch. Zwar ist im SGB I etwas dazu gesagt, das bezieht sich aber auf die „Angabe von Tatsachen“, das persönliche Erscheinen auf Verlangen oder die Verweigerung notwendiger ärztlicher Untersuchungen. Andere Gründe für die Beendigung oder die Verweigerung von Hilfen gibt es wegen „fehlender Mitwirkung“ nicht! Mehr dazu steht hier: Schruth, Peter (2020): Über die Instrumentalisierung angeblicher Mitwirkungspflichten. In: Forum Erziehungshilfen 26. (3), S. 311–314.

„Für Hilfen zur Erziehung braucht es einen Antrag“. Das ist falsch. Es braucht keinen mündlichen oder schriftlichen Antrag. Denn: Hilfe zur Erziehung ist keine Antragsleistung: „Ein Sozialverwaltungsverfahren beginnt gem. § 18 SGB X entweder nach Behördenermessen oder wenn die Behörde auf Antrag oder von Amts wegen tätig werden muss“. Eine Beratungsgespräch im Jugendamt ist als Antrag aufzufassen, wenn die Umstände erwarten lassen, dass Hilfe nötig werden könnte. Denn nach § 20 SGB X muss das Jugendamt über ihre sogenannte „Amtsermittlungspflicht“ alle Umstände berücksichtigen. Mehr dazu steht hier: Schindler, Gila (2019): Recht stärkt! (wen?). Verfahrensrechte im Umgang mit dem Jugendamt. Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe. Berlin (Fachsymposium "Gut beraten und vertreten").

„Doppelhilfen sind nicht möglich“. Gemeint ist damit, dass wenn schon eine Hilfe gewährt wird (z.B. Heimerziehung), keine zweite Hilfe in diesem Fall (z.B. Familienhilfe zu Hause bei den Eltern) gewährt werden kann. Das ist falsch! Nirgendwo im SGB VIII steht davon etwas. Ganz im Gegenteil steht im § 27 SGB VIII: „Unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden, sofern dies dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht“. Doppelhilfen sind also möglich!

„Du kannst doch nicht einfach so in deine Akte reinschauen“. Doch, natürlich geht das. Zwar nicht einfach so, aber es geht, dies steht in § 25 SGB X. Allerdings kann es sein, dass Teile der Akte geschwärzt werden müssen, also unleserlich gemacht werden, wenn die Rechte anderer betroffen sind. Die Akteneinsicht findet beim Jugendamt statt. Teile der Akten können auch kopiert werden – das kann allerdings auch Geld kosten. Du kannst dich an eine Ombudsstelle wenden, wenn es mit der Akteneinsicht Probleme gibt.

„Du kannst nicht einfach jemanden zum Hilfeplangespräch mitbringen“. Das ist falsch! Du kannst eine Person deines Vertrauens in jedes Gespräch mit dem Jugendamt mitbringen. Das nennt sich dann „Beistandschaft“ und steht in § 13 SGB X: „Ein Beteiligter kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht“. Wichtig ist dabei: Dies sollte also jemand sein, zu der du großes Vertrauen hast und mit welcher du vorher abgesprochen hast, was gesagt werden darf und was nicht. Beteiligte sind nach § 12 u.a. „diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind“. Nach Absatz 2 sind das jene, „deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können“, also auch junge Menschen. Du kannst also zu jedem Gespräch jemanden mitbringen.

„Du musst den Hilfeplan sofort unterschreiben“. Vom Hilfeplangespräch wird ein Protokoll angefertigt. „Der Hilfeplan ist das Protokoll des Hilfeplangesprächs, dessen Richtigkeit durch die Unterschriften der Beteiligten bestätigt wird“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter BAGLJÄ). Es ist also richtig, dass du den Hilfeplan unterschreiben solltest, aber nirgendwo steht etwas davon, dass du ihn sofort unterschreiben musst. Du kannst dir also gern Zeit nehmen, um ihn in Ruhe zu lesen. Schließlich ist es ein wichtiges Dokument. Lass dir eine Kopie vom Hilfeplanprotokoll machen, nimm ihn mit nach Hause, lies ihn in Ruhe und unterschreibe erst, wenn du mit dem Protokoll einverstanden bist. Mehr dazu und zum Hilfeplan findest du hier: Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (BAGLJÄ) (2015): Empfehlungen: Qualitätsmaßstäbe und Gelingensfaktoren für die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII. 1. Aufl. Mainz.

„Wir haben nur dieses eine Angebot für Dich“. Damit ist gemeint, dass zwar eine Hilfe zur Erziehung gewährt wird (z.B. Heimerziehung), aber nur eine Einrichtung oder ein Träger in Frage kommt. Das darf nicht sein. Denn: Es gibt das Wunsch- und Wahlrecht. Im § 5 SGB VIII steht folgendes: „(1) Die Leistungsberechtigten haben das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Sie sind auf dieses Recht hinzuweisen. Der Wahl und den Wünschen soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist.“ Außerdem ist das auch noch einmal im § 37c klargestellt und bezieht sich dort insbesondere auf Kinder und Jugendliche. Das heißt also, dass es tatsächlich eine Wahl geben muss. Falls es so sein sollte, dass nur ein Angebot gemacht werden kann, weil es nicht mehr Einrichtungen gibt, dann widerspricht das dem SGB VIII. Im § 79 steht nämlich, dass es die Aufgabe des Jugendamtes ist, dass „…die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“ müssen. Im Zweifel muss also das Jugendamt eigene Angebote schaffen. Falls das Wunsch- und Wahlrecht nicht gewährt wird, sprich eine Ombudsstelle an.

„Wir haben schonmal Ziele zusammengeschrieben“. Damit ist gemeint, dass es manchmal vorkommt, dass die Fachkräfte im Vorfeld des Hilfeplangesprächs schon Ziele in das Hilfeplanprotokoll geschrieben haben, die aus ihrer Sicht gelten sollten (z.B. regelmäßiger Schulbesuch). Das darf so nicht sein! Denn: Im § 36 SGB VIII steht: „Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen“. Gemeinsam. In den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter wird es noch konkreter: Es sollen „in einem Beratungsprozess mit den Familienmitgliedern […] die konkreten Ziele und Ausgestaltung der Leistung im Hilfeplangespräch mit allen Beteiligten“ ausgehandelt und vereinbart werden. Gemeinsam also, denn es handelt sich ja um deine Ziele! Diese können ja nicht vorher ohne dich bestimmt werden.

„Datenschutz ist hier nur eingeschränkt“. In manchen Jugendämtern ist es üblich, dass alle Mitarbeiter*innen in alle Fallakten reinschauen dürfen, auch um im Falle von Urlaubs und Krankheit andere Kolleg*innen vertreten zu können. Das ist so nicht erlaubt (siehe Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Auflage 2019, Rn 1)! Damit zwischen Adressat*innen und der ASD- Fachkraft (oder auch FFK) eine vertrauensvolle und persönliche Beziehung entstehen kann, ist es wichtig, dass nur sie Zugang zu allen Informationen hat. Wenn ihr der Person vom Jugendamt Informationen oder Daten anvertraut, dann dürft ihr Euch darauf verlassen, dass diese nicht weitergegeben werden. Die Person vom Jugendamt darf Informationen und Daten von dir nur weitergeben, wenn du dieser Weitergabe einwilligst (siehe Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Auflage 2019, Rn 2). Ausnahmen davon gibt es nur, wenn es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt – dann musst du aber auch darüber informiert werden. Grundsätzlich gilt also: Mitarbeitende von Jugendämtern dürfen ohne deine Einwilligung keine Informationen über dich weitergeben!