Careleaver Zentrum Dresden
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Seminarbericht vom Juni 2018

Aus einer Raupe wird ein Schmetterling - Seminarbericht Juni 2018

Wer in der Jugendhilfe lebt, ob in einer Wohngruppe oder bei einer Pflegefamilie, weiß, dass dieses Leben dort ein Ende hat. Meist endet es spätestens mit dem 18. Lebensjahr. Das müsste zwar nicht sein – es gibt auch die Möglichkeit, länger dort zu leben – aber in der Regel beenden die Einrichtungen und die Jugendämter diese Hilfen mit dem 18. Lebensjahr. Wem dieser Wechsel bevorsteht, oder wer ihn schon durchlebt hat, kann sich Careleaver nennen (Care = Hilfe; Leaving = Verlassen).

Careleaver müssen den Übergang vom Leben in der Jugendhilfe hin zu einem selbständigen Wohnen und Leben also früher durchmachen. Und sie sind in der Regel mit mehr Belastungen unterwegs. Sie haben häufig keinen entspannten und belastbaren Kontakt zu den eigenen Eltern, haben häufig wenig finanzielle Unterstützung, können nicht mal einfach nach Hause gehen, um Wäsche zu waschen oder den Computer zu nutzen, können häufig nicht mal so eine Nacht zu Hause schlafe – sie haben insgesamt in vielen Fällen weniger Unterstützung als diejenigen, die bei ihren Eltern aufwachsen konnten. An Careleaver richtet sich diese Seminarreihe.

Anfang Juni war es soweit: Das erste Wochenende der 4. Careleaver- Seminarreihe stand vor der Tür. 14 junge Menschen haben Freitag bis Sonntag im Hans- und Sophie Scholl Haus in Dresden verbracht, um sich kennenzulernen, sich auszutauschen und voneinander zu profitieren. Da manche Teilnehmer*innen auch aus anderen Bundesländern angereist sind, stand am Freitagabend neben notwendigen organisatorischen Absprachen vor allem das Ankommen und Zusammensein im Fokus. Es wurde aber auch darüber gesprochen, wie sich alle ihren gemeinsamen Umgang vorstellen: Es soll respektvoll miteinander umgegangen werden, alle sollten gegenseitig aufeinander achten und sich mit einbeziehen. Zum respektvollen Umgang zählen dabei auch Gewaltfreiheit in jeglicher Form und der Verzicht auf Handys in Arbeitseinheiten und beim Essen. In diesem Durchgang bringen die Careleaver*innen einen bunten Mischmasch von unterschiedlichen Wohnorten, Kulturen und Sprachen mit, sodass es viel auszutauschen und kennenzulernen gab. Das Interesse füreinander ist sehr hoch und schnell war man auf einer Wellenlänge. Trotz etwas Regen wurden nach dieser ersten Runde bei leckeren Grillspezialitäten draußen ausgiebige Gespräche geführt, viel gelacht und ein paar Spiele gespielt.  

Am Samstag stand dann erstmals ein straffes Programm auf dem Plan. Zunächst ging es dabei darum, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. An vier Tischen wurde thematisiert „Was zeichnet mich aus?“, „Wie geht es mir in der Jugendhilfe?“  oder „Wie stelle ich mir mein Leben in 10 Jahren vor?“. Ein Tisch beschäftigte sich auch mit der Fragestellung, wie die Wohngruppen zurzeit mit Careleaver*innen umgehen – wie finden beispielsweise Verabschiedungen statt? Gibt es für die Jugendlichen die Möglichkeit sich auch nach ihrem Auszug noch an die WG zu wenden? Dabei wurde deutlich, dass die jungen Menschen sich genau diese Möglichkeit wünschen: Sie wollen nach dem Auszug noch Ansprechpartner*innen haben, die sie um Rat fragen können, oder mit denen sie einfach nur im Kontakt stehen wollen. Für den Auszug ist insbesondere eine organisierte Unterstützung gewünscht. Bei all den Sachen, die bei deinem Umzug zu erledigen sind, ist es hilfreich, wenn einem aufgezeigt wird, was ansteht, damit wichtige Erledigungen nicht hinten runter fallen und auch neben Ausbildung oder Schule alles gut gemanagt werden kann. Außerdem ist es den Careleaver*innen wichtig, Informationen darüber erhält, welche Ressourcen genutzt werden können, um den Auszug so gut wie möglich zu meistern.

Das Leben in der Jugendhilfe prägt- neben Ämtergängen und dem Umgang mit Wohnort- und Institutionswechseln lernen die jungen Menschen insbesondere aufeinander zu achten. Viele äußerten, dass im WG-Alltag die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Besonderheiten der Mitbewohner*innen besonders wichtig ist. Jede einzelne Person bringt ihre Erfahrungen und ihre Lebensgeschichte mit, da ist Sensibilität gefragt. Careleaver*innen sind deshalb gute Zuhörer*innen und Teamplayer*innen. Diese spezielle Lebenssituation führt aber auch dazu, dass sich die Carelaver*innen vergleichsweise stark mit sich selbst auseinandersetzen. Sie wissen in der Regel, was sie erreichen wollen und wie sie das schaffen können. Besonders wichtig sind ihnen dabei die eigene Familie und die Möglichkeit, sich selbst zu finden und zu verwirklichen. Sie kennen ihre Fähigkeiten und Stärken.

Die Beschäftigung mit den eigenen Stärken prägte auch den Samstagnachmittag. Ein Kurzfilm über den „Butterfly-Circus“ sollte und hat inspiriert. Der Hauptdarsteller Will, ein Mann der ohne Arme und Beine zur Welt kam, findet darin seine Hoffnung wieder und zeigt, was er alles kann, was ihn besonders macht. „Aus einer Raupe wurde ein Schmetterling“ formulierte eine Teilnehmerin in Anlehnung an den Filmtitel passend. Hochgradig reflektiert haben die Carelaver*innen Botschaften aus dem Film gezogen, Symbole interpretiert und für sich übersetzt. „Der Film soll zeigen, dass jeder Mensch an sich viel Wert ist, unabhängig von dem, wie er geboren wird.“, „Jeder hat Stärken, die ihm helfen können, etwas zu erreichen. Ich fand es gut, dass nicht alles für ihn gemacht wurde, sondern dass Will auch selbst herausgefunden hat, was er kann.“ Anschließend haben sich alle noch mit ihren eigenen Stärken und Schwächen auseinandergesetzt.

Das absoulte Highlight auch passend zu dem Motto „Schmetterling“ war der Abend im „SuperFly“ – einer Trampolinhalle in Dresden. Wer noch nicht über sich hinausgewachsen war, tat es jetzt: Es wurden Saltos vom Trapez geübt, unglaublich steile Rutschen runter gerutscht und lautstark die anderen angefeuert. Diese (im wörtlichen Sinne) zusammenschweißende Aktion zeigte ihre Wirkung im gemütlichen Beisammensein und langen Gesprächen bis spät in die Nacht hinein.

Bevor am Sonntag alle voneinander Abschied nehmen mussten, um sich wieder in alle Winde zu verstreuen, stand noch einiges an. In kleinen Gruppen wurde aus LEGO jeweils ein Carelaver gebaut während inhaltlich überlegt wurde, was Carelaver*innen wollen, brauchen und können.

CL wollen… allein Leben, eine eigene Wohnung, aus der Jugendhilfe raus, Unterstützung, Regeln mitbestimmen, respektiert werden, frei sein, keinen Stress und Ruhe

CL brauchen…. Achtung und Respekt, Vertrauenspersonen und Ansprechpartner (davor, während und danach), W-Lan, Privatsphäre, gutes soziales Umfeld, genügend Geld, freien Zugang zu Fahrrädern.

CL können… für sich sorgen, ihren Alltag gut meistern, sich strukturieren, sich gut verständigen, Konflikte lösen, gut über ihre Gefühle sprechen, sich anderen gegenüber öffnen

Diese Aufzählung manifestierte sich auch in den gebauten Skulpturen. So zeigt der Careleaver- Transformer: Careleaver sind stark, wandelbar und vor allem cool! Eine andere Skulptur zeigte das Brandenburger Tor, dessen einzelnen Säulen die wichtigen Bereiche des Lebens darstellen wie Liebe oder Freundschaft. Der Wanderer-Careleaver ist auf großer Wanderschaft ins Leben – seinen Rucksack für den Auszug hat er bereits gepackt. 

Auch für dieses Wochenende war nun das Rucksackpacken angesagt. Zum Abschluss wurden noch Themen gesammelt, die die Careleaver*innen interessiert. Die kommende Seminarzeit soll genau darauf zugeschnitten sein, was für die Teilnehmer*innen ansteht und was sie wissen wollen. So werden wir uns an den nächsten Wochenenden mit Wohnungsbesichtigungen, dem Beantragen von Geldern, Versicherungen und Verträgen beschäftigen. Aber auch die gemeinsame Freizeit soll wieder so gut wie möglich genutzt werden. Die sportlich ambitionierten Carelaver*innen wollen Schwimmen, Klettern oder Fahrrad fahren. Es wird also wieder erlebnisreich und vielfältig.

Um mit den Worten einer Teilnehmerin zu sprechen, die das erste Wochenende reflektieren aber auch für das nächste Wochenende gelten sollen: „Es ist wie eine weiße riesige Leinwand, bei der alle von uns mit bunten Farben und Spritzern ihre Ideen und ihre Persönlichkeit hinterlassen, sodass am Ende ein buntes Bild entsteht, was durch viele unterschiedliche Inhalte und Menschen geprägt ist.“